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Vom Gegner zum Befürworter des Denkmals

Vom Gegner zum Befürworter des Denkmals (Bild vergrößern)
Bild zur Meldung: Vom Gegner zum Befürworter des Denkmals
„Sinneswandel hat sich erst nach der Mauerfall-Euphorie vollzogen" - Thomas Malcher dürfte dem

Volksstimme-Leser inzwischen als Cheforgnaisator des

Spektakels „Rock am Denkmal" gut bekannt sein. Nicht

immer jedoch stand der Hötensleber der Thematik

Grenzdenkmal positiv gegenüber - wie viele andere im Ort

auch. Volksstimme-Redakteur Ronny Schoof sprach mit dem

41-Jährigen über diese Ambivalenz.

 

Volksstimme: Herr Malcher, vor gut 20 Jahren waren Sie einer derer, die den Abriss der Mauer in Hötensleben befürworteten. Sie steht noch, und ist Teil des Grenzdenkmals, an dem nun regelmäßig Rockkonzerte auch unter ihrer Mithilfe

stattfinden. Ein Sinneswandel?

Thomas Malcher: Das kann man so sagen, ja. Bei mir wie

auch vielen anderen Hötenslebern hat es einige Zeit gedauert,

bis ich die Bedeutung dieser Anlage als Denk- und Mahnmal anerkannt habe.

Volksstimme: Das Dorf war in dieser Frage gespalten?

Thomas Malcher: Ja. Die Bemühungen für den Erhalt der

Grenzanlage als Denkmal war ja früh da, allen voran hat Achim

Walther damals dieses Vorhaben verteidigt. Im Ort gab es

aber auch viele, die sich dagegen ausgesprochen haben und

alles am liebsten schnell weggerissen hätten. Die Stimmung

in Hötensleben war ziemlich aufgeheizt. Bürgermeister und

Grenzdenkmalverein mussten einiges aushalten, Anfeindungen

und Pöbeleien ertragen. 1992 oder 1993 wurde dann eine Unterschriftensammlung gestartet, die den Abriss der Anlage forderte.

Volksstimme: Haben Sie unterschrieben?

Thomas Malcher: Ja, das habe ich. Ich habe damals einfach

noch keine Gedanken an die Bedeutung des Geländes

verschwendet. Heute würde ich nicht mehr unterschreiben

und finde ich es bewundernswert, dass die Verantwortlichen

damals so weitsichtig waren und die Situation so nüchtern betrachtet haben. Und ich glaube, ich bin mit dieser Ansicht bei weitem kein Einzelfall.

„Ich hatte Spätschicht; das ganze Armaturenwerk

war leer"

Volksstimme: Sie spielen auf die allgemeine Euphorie an,

die nach der Bekanntgabe der Grenzöffnung die DDR-Bevölkerung erfasst hat. Sie auch?

Thomas Malcher: Na klar! Das war ein absolutes Hochgefühl. Die erste Zeit war wie ein Rausch. Im Rückblick war es der Beginn eines freien und selbstbestimmten Lebens.

Volksstimme: Dann lassen Sie uns kurz zurückkehren

zum 9. November 1989 ...

Thomas Malcher: Daran kann ich mich noch gut erinnern.

Ich habe noch im Armaturenwerk gearbeitet und hatte

an dem Tag Spätschicht. Die Nachricht von Günther Schabowski verbreitete sich bei uns langsam, aber doch wie ein Lauffeuer. Dann hieß es, man brauche für die Ausreise lediglich einen Stempel von der Volkspolizei. Wie alle anderen

auch, habe ich mir den besorgt. Das ganze Armaturenwerk war

dann jedenfalls leer. Und schon am Wochenende drauf - der

9.11. war, glaube ich, ein Donnerstag - habe ich mich in den

Zug gesetzt und bin über Marienborn in Richtung Braunschweig

gefahren, um meinen Cousin in Peine zu besuchen.

Volksstimme: In Hötensleben direkt vollzog sich der Mauerfall erst später, oder?

Thomas Malcher: Und zwar am 19. November. Erst da war

die Grenzübergangsstelle bei uns passierbar. Auf beiden Seiten

haben tausende Menschen angestanden. Das war nochmal

etwas ganz Besonderes, weil es eben direkt vor Ort war. Die Situation war insgesamt zwar etwas mühselig, aber der Hammer! Ganz Schöningen und Hötensleben waren eine Feiermeile. Als der provisorische Grenzübergang gebaut wurde,

hat man jeden Tag geschaut, wie weit die sind und dachte

sich, warum nehmt hier nur diese paar Mauerteile heraus und

reißt das ganze Bollwerk nicht komplett ab?! Wenig später haben dann schon Familienmitglieder Arbeit in Schöningen

bekommen. Ab und an musste man sich kneifen und fragen, ob

das alles überhaupt wahr ist.

„Man hat sich dran gewöhnt und ist fast ein wenig betriebsblind geworden"

Volksstimme: So viel zu Rausch und Euphorie. Wann hat bei Ihnen das Umdenken bezüglich der Grenzanlage eingesetzt?

Thomas Malcher: Erstmals nach einer Sendung des NDR,

die die aufgeheizte Stimmung im Ort damals gut  wiedergegeben hat. Da bin ich zum ersten Mal ins Grübeln gekommen, habe das dann aber die nächsten Jahre verdrängt. Ins Bewusstsein ist mir die Sache erst wieder gerückt, als es losging mit den Mai- und Herbstfesten, die sich ja recht schnell überregionalen Charakter erworben haben. Und da kamen Bands von außerhalb und waren verwundert und „begeistert" gleichermaßen, dass sie hier auf dem einstigen Todesstreifen

spielen können. Das hat die Erkenntnis um die Bedeutung der

Anlage bei mir sehr verstärkt und ein Umdenken hat  ingesetzt.

Man selber hatte sich ja über die Jahre an den Anblick

des Geländes gewöhnt und ist dadurch fast ein wenig betriebsblind geworden.

Volksstimme: Tja, und nun gibt es „Rock...Kultur am

Denkmal" ...

Thomas Malcher: Das ist doch ein interessanter Aspekt,

dass an einem Ort der Teilung gefeiert wird, dass Leute aus

allen Ecken der Republik herkommen, um Spaß und Unterhaltung zu finden - und doch der historische Gedanke nicht außer Acht gelassen wird.

Volksstimme: Als einer, der seine Sturm- und Drangphase

an der Mauer erlebt hat: Hatten Sie einschneidende Erlebnisse?

Thomas Malcher: Nun, generell wirkte die Grenze immer

sehr bedrohlich auf mich und sie vermittelte direkt den Eindruck, dass in diesem Staate etwas falsch läuft, das unrechtmäßig und unmenschlich ist. Eine Episode gibt es, die aber fast schon schwarzhumorigen Chrakter hat. Da wurde ich

beim Eisholen verhaftet, weil ich keinen Personalausweis

dabei hatte. Das 1987, und ich war mit einem Arbeitskollegen

auf dem Weg nach Völpke, als wir angehalten wurden. Weil

ich mich nicht ausweisen konnte, wurde ich dann mitten auf

der Straße zur Kaserne eskortiert, mit den Knarren im Anschlag. Ich empfand das damals schon als komische

Situation und hatte nicht wirklich Angst, und es hat sich dann

auch alles in Wohlgefallen aufgelöst. Aber solche Geschichten

haben sicherlich dazu beigetragen dass man die Grenze

nach ihrem Fall erstmal weg haben wollte.

„Meine Küche liegt im Osten, die Stube im Westen"

Volksstimme: Wie würden Sie heute einem Unwissenden

die Bedeutung des Grenzdenkmals erklären?

Thomas Malcher: Wer diese Grenzanlage sieht, sieht das

Undemokratische an der DDR. Von wegen antifaschistischer

Schutzwall! Die Waffen waren nicht gen Westen gerichtet,

sondern auf die eigene Bevölkerung. Der Fall der Mauer

war und ist der Grundstein für die Zukunft, die mit ihr eingeläutet wurde. Es betraf ja nicht nur Deutschland, sonder ganz Europa. Von daher ist die Anlage sehr bedeutsam als Mahnmal, vergleichbar mit den KZs die den Wahnsinn des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs verdeutlichen.

Man muss so etwas für die Nachwelt erhalten, auch wenn die keinen direkten Bezug mehr dazu hat. Hötensleben ist mit diesem Grenzdenkmal einzigartig und überregional bekannt

geworden. Nirgends sonst kann man den original erhaltenen

Todesstreifen besichtigen oder gar Veranstaltungen auf selbigem besuchen.

Volksstimme: Ihre neuentdeckte Sympathie für das

Grenzdenkmal ging ja sogar so weit, dass Sie auf dem Grenzstreifen gebaut haben.

Thomas Malcher: Wir wollen es nicht übertreiben und

dies stimmt auch nur zum Teil. Die Gemeinde hat damals ein bebaubares Grundstück der ehemaligen Grenze zum Kauf ausgeschrieben, und diese Möglichkeit haben meine Frau und ich genutzt und ein Haus darauf gebaut. Wir haben von unserem Haus das Denkmal beziehungsweise die ehemalige Hundetrasse direkt vor Augen. Der Witz an der Sache ist, dass ich heute quasi in beiden ehemalig getrennten deutschen Staaten wohne. Die Küche nämlich liegt im Osten und die Stube

auf der Westseite.

 

Foto: Thomas Malcher war anfangs ein Gegner des Grenzdenkmals. Seine Meinung dazu hat sich komplett gewandelt. Heute ist er äußerst engagiert bei der Großveranstaltung „Rock am Denkmal".

 

Text und Foto: Ronny Schoof - Volksstimme